Was ist eigentlich das Problem?
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Viele Jungs grinsen oder lachen schon, wenn sie nur das Wort "reiten" hören.
Wie kommt das?
Ganz einfach: Weil sie dann an Sex denken.
Bei dem Wort "reiten" denkt man dann vor allem an die "Reiterstellung": Eine Frau sitzt beim Sex auf einem Mann, sie "reitet" auf ihm.
In der Vorstellung der Jungs nimmt jeder Reiter so gesehen eine "weibliche Rolle" ein.
Aber davon grenzen viele Jungs sich ab, weil die Abgrenzung zu allem, was "weiblich" ist, sie erst zu einem Jungen macht!
Du meinst, das ist Quatsch?
Wenn reitende Jungs von anderen Jungs geärgert werden, gibt es oft sexuelle Anspielungen:
"Oh, er reitet!", sagt einer. Die anderen schauen sich vielsagend an und lachen. Woran sie dann denken, weißt du jetzt. Die Kinder werden aber auch deutlicher, lies z.B. diesen Text von Fabian.
Sehr häufig wird ein reitender Junge außerdem auch als "schwul" beschimpft.
Warum das? Selbstverständlich hat die sexuelle Orientierung in Wirklichkeit nichts mit den Sportarten zu tun, die uns gefallen! Hier geht es nur um eine psychologische Erklärung von Fantasien.
Einfach gesagt: Beim schwulen Sex könnte in der "Reiterstellung" ein Mann auf einem anderen Mann sitzen. In dieser verrückten 'Logik' ist ein männlicher Reiter automatisch schwul.
Dass Jungs also heute in unserer Gesellschaft nicht mehr reiten, ist also im Grunde genommen eine kollektive Form von Homophobie!
Bislang spricht niemand offen darüber - aber das können wir ändern.
Die Männer hatten den Frauen das Reiten jahrhundertelang verboten! Warum? Es hatte natürlich damals schon etwas mit Sexualität zu tun!
Du willst einen Beweis? Bitte sehr:
So heißt es in einem Buch aus dem Jahre 1797:
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"Die Frauenzimmer sollten billig nicht reiten; wenigstens sollen sie quer reiten. Denn die Geschlechtstheile werden dabey gerieben, und dies ist fast so gut wie eine Onanie."
Quelle: Diätetik für junge Leute, besonders für Studierende. Frankfurt a. M. 1797: Andreäische Buchhandlung, S. 78.
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Reitenden Frauen wird also unterstellt, sie würden sich beim Reiten auf einem Pferd sexuell selbst befriedigen, weshalb sie nicht reiten sollen. Und wenn doch, dann nur im Damensitz.
Selbstbefriedigung galt damals als "Sünde", in der katholischen Kirche sogar noch heute...
Natürlich hat das Reiten auf einem Pferd nichts mit Selbstbefriedigung oder überhaupt Sexualität zu tun. Es ist nur eine männliche Fantasie! Aber die gibt es sicherlich immer noch. Männer gelten ja als stark "visuelle Wesen", wie man so schön sagt. Viele Männer und Jungs erinnert die Bewegung des menschlichen Körpers beim Reiten auf einem Pferd an Sex.
Aber das sind natürlich vor allem die Jungen und Männer, die nichts mit Pferden zu tun haben. Denn für Reiter ist das ja ein normaler Anblick und sportliche Aktivität, weshalb Reiter das 'Problem' der anderen Jungen und Männer oft gar nicht nachvollziehen können.
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Durch das Verbot des Reitens für Frauen konnte es lange Zeit eine 'Männersache' bleiben.
​Tatsächlich waren bis in die 1960er Jahre die Männer und Jungen auf den Reiterhöfen meistens unter sich - mit wenigen Ausnahmen. Denn damals waren die Mädchen nicht gleichberechtigt. Sie mussten Röcke tragen und man sagte: "Reiten schickt sich nicht für Mädchen."
Das Interesse der Mädchen aber war da. Und zurecht erkämpften sich Frauen und Mädchen im Zuge der 'weiblichen Emanzipation' einen völlig gleichberechtigten Platz im Reitsport.
Schon seit 1977 gibt es in deutschen Reitvereinen mehr Frauen und Mädchen als Männer und Jungen.
Seitdem ging dann die Zahl der Jungen immer weiter zurück, weil das Reiten bei Jungen und Männern mehr und mehr mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht wurde.
​​Dazu kommt auch noch die Kleidung bei der klassischen Reitweise: Reithosen, hohe Schaftstiefel.
Natürlich handelt es sich ursprünglich um Kleidung für Männer.
Trotzdem wird diese Kleidung heute für typisch weiblich gehalten, weil Frauen und Mädchen z.B. im Winter häufig hohe Stiefel tragen. Hier hat sich die Mode einfach so entwickelt.
Aus diesem Grund haben viele Jungs und Männer als Reitanfänger das Gefühl, "Frauenkleidung" beim Reiten zu tragen (also eine Form von Transphobie!).
Viele Männer und Jungs finden gerade diese Art von Kleidung bei Frauen besonders sexy - weil sie eben körperbetont ist -, und das macht alles nur noch 'schlimmer'...
Umgekehrt können Frauen und Mädchen dieses Problem der Jungen und Männer mit "Frauenkleidung" wohl kaum bis gar nicht nachvollziehen. Im Zuge der Gleichberechtigung haben Frauen und Mädchen sich zunehmend von klassischer 'weiblicher' Kleidung verabschiedet. Sie tragen in der Regel keine Röcke und Kleider mehr, sondern sie tragen selbstverständlich Hosen. Frauen und Mädchen gewinnen ihre Geschlechtsidentität nicht durch Abgrenzung vom anderen Geschlecht.
Aber: Die meisten Männer und Jungen suchen diese Abgrenzung sehr wohl! Für die allermeisten Jungen und Männer wäre es undenkbar, ein Kleid oder einen Rock anzuziehen.
Und heutzutage geht es ihnen genauso mit Reithosen und Reitstiefeln (Beispiel 1, Beispiel 2). Ein Junge oder ein Mann kommt sich als Neueinsteiger in den Reitsport oft erst einmal so vor, als würde er Frauenkleidung tragen.
Wenn ein Junge aber von kleinauf damit aufwächst, ist alles Normalität. So ein Junge kann die "Probleme" der anderen Jungs dann gar nicht nachvollziehen. Wird der Druck zu groß, hören viele junge Reiter auf, sogar wenn sie sehr erfolgreich waren. Bei ihnen herrscht dann nur großes Unverständnis. Häufig sprechen sie auch nicht weiter darüber, sondern verdrängen ihre Trauer, ihr Unverständnis gegenüber anderen Jungen und suchen vielleicht sogar irgendeinen "Fehler" bei sich selbst... Die Familien können dies dann oft gar nicht nachvollziehen.
Für Jungen aus Familien, in denen es keinen ständigen Umgang mit Pferden gibt, ist das Interesse sicherlich auch oft da. Pferde sind großartige Wesen, warum sollten Jungs sie nicht interessant finden? Aber die Angst, kein "richtiger" Junge zu sein oder für "schwul" gehalten zu werden, ist einfach zu groß!
Mittlerweile gibt es aber sogar schon Väter, die nicht wollen, dass ihr Sohn reitet, was z.B. Tim eindrücklich schildert.
Wir haben Gleichberechtigung, aber in den Köpfen gibt es absurde Ängste und Vorstellungen, die wir leider aus früheren Jahrhunderten sozusagen geerbt haben.
Frauen und Mädchen haben sich emanzipiert - und zwar von der männlichen Unterdrückung.
Heute unterdrücken wir Männer und Jungen uns gegenseitig und uns selbst.
Mädchen und Frauen lassen sich das nicht mehr gefallen und können mit diesem Problem so rein gar nichts anfangen.
Wie können wir dies endlich durchbrechen?
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Konkrete Lösungsideen
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Aufklärung und offen darüber sprechen
Zuallererst halte ich Aufklärung für wichtig: Das Wissen darüber, was im Kopf von Jungen und Männern vor sich geht.
Die Jungen sind so gesehen nicht "böse", sondern ihr Verhalten ist biologisch, historisch und gesellschaftlich erklärbar.
Für ein Kind, dass mit Pferden aufgewachsen ist, ist das schwer nachvollziehbar: Es ist ein Sport, der Umgang mit den Tieren ist alltäglich, das Tragen von Reithosen und Stiefeln ist völlig normal.
Bei anderen Jungs läuft aber nun einmal tatsächlich das "Kino" im Kopf ab, was ich oben versucht habe, ausführlich darzustellen. Vielleicht ist schon diese Erklärung darüber hilfreich? Das Wissen darüber, was im Kopf der anderen Jungs los ist?
Reiten als Schulsport
Viele Sportarten werden im Sportunterricht ausprobiert. Warum nicht Reiten?
Ganze Klassen können sich einen Reitstall anschauen, jedes Kind (auch jeder Junge) sollte die Möglichkeit haben, eine Runde auf einem Pony geführt zu werden. Eine sinnvolle Erfahrung.
Gruppen nur für Jungen
Reitställe können Gruppen nur für Jungen einrichten. Ich kenne mehrere Ställe, die das tun. Dort fühlen sich die Jungs wohl, auch wenn sie etwas älter werden. Gibt es in einer Gegend solche Angebote, reiten mehr Jungen, es ist 'normal' wie andere Sportarten auch und es gibt weniger dumme Sprüche.
Dummem Sprüchen begegnen: Mit Humor, Ironie oder sogar mit echtem Mitgefühl
Ein reitender Junge kann sich auf die Sprüche der anderen Jungen vorbereiten. Natürlich ist es eine 'Typsache'. Einige Ideen stelle ich hier vor.
Entweder kann man es cool ignorieren. Nichts zu antworten ist aber nicht immer leicht!
Manche können das: Sie lächeln vielleicht, schauen den Angreifern aber in die Augen, antworten aber nicht auf die Sprüche.
Was auch möglich ist: Man kommt den anderen Jungs mit ihren Sprüchen einfach zuvor oder man macht sozusagen ein wenig mit.
Man kann also die gleichen Witze machen, ohne dass man sich selbst beleidigt fühlt. Dafür braucht man natürlich einn gewisses Selbstbewusstsein.
Zum Beispiel könnte ein Junge zu dir sagen:
"Na, du reitest wohl heute wieder?" Die anderen Jungs, welche das hören, lachen, weil sie an Sex denken. Ist ja klar, die Gleichung kennen wir schon: reiten = Sex. Soooo lustig. Hahahahaha...
Darauf antwortest du:
"Klar, heute reite ich wieder meine drei Ponys, und sogar alle drei hintereinander. Ihr versteht, was ich meine?"
Auch wenn man es selbst gar nicht witzig findet, man könnte es trainieren, beispielsweise im Rollenspiel.
Am wichtigsten ist dann: selbst mitlachen. Das nimmt den anderen den Wind aus den Segeln.
Wenn du mit so einer Schlagfertigkeit keine Übung hast, tausche dich mit anderen darüber aus!
Was könnte man noch sagen?
Eine interessante Info ist vielleicht noch, dass ein anderer Junge, der mit seinen Sprüchen zunehmend aggressiver wird, in Wirklichkeit extrem neidisch ist und insgeheim ein eigenes Interesse am Reitsport hat. Das gesteht er sich aber nicht ein, er hat Angst vor eigener Homosexualität. Solche unterdrückten Gefühle und Bedürfnisse führen zu Aggression.
Vielleicht bist du mit ihm sogar befreundet. Einem solchen Kandidaten hilft eventuell ein vorsichtiger Versuch, Mitgefühl für ihn aufzubringen.
Man könnte ihn fragen: "Regst du dich auf, wenn du weißt, dass ich als Junge reite, aber du denkst, dass man als Junge nicht reiten sollte, weil es angeblich 'schwul' ist?"
Vermutlich wird er mit "Ja" antworten.
Und dann könntest du eine weitere Fragen stellen: "Mal angenommen, es gäbe jetzt diese Behauptung in der Welt gar nicht, dass Reiten angeblich 'schwul' ist - würdest du es DANN auch selbst mal ausprobieren wollen? Würdest du DANN gern selbst mal auf einem Pferd sitzen?"
So mancher Kandidat wird dann natürlich wie aus der Pistole geschossen antworten: "Nein, spinnst du?!" Aber es ist durchaus wahrscheinlich, dass die Frage etwas in ihm auslöst.
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Massivem Mobbing und Beleidigungen begegnen: Wenn es aktut ist
Ist ein Leidensdruck da, braucht man Hilfe! Die holt man sich in der Schule zuerst bei der Klassenleitung oder bei der Schulleitung. Auch ein Vertrauenslehrer oder eine Schulsozialarbeiterin kann helfen.
Täter müssen begreifen, dass trotz eines psychologischen Verständnisses Mobbing nicht akzeptiert wird.
Geht es um massive Beleidigungen, tätliche Angriffe, die Weitergabe von Fotos und Videos im Internet usw. ist eine Anzeige bei der Polizei möglich.
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Habt ihr weitere Ideen?
Habt ihr Anmerkungen, weitere Erklärungsansätze?
Kommentiert bei Instagram:-)
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